Lieber Thomas



Wer war Thomas Brasch? Am Ende des biographischen Porträts weiß man dank der mitreißenden Darstellung zumindest eins: Brasch war ein faszinierender, vielschichtiger, ambivalenter Mann und eine geradezu exemplarische Künstlerfigur.

Als Sohn eines hohen SED-Beamten wuchs der 1945 geborene Thomas Brasch (Albrecht Schuch) auf, durchaus privilegiert, aber nie ohne kritischen Blick auf seine Lebensumstände. Die Niederschlagung von Protestbewegungen in befreundeten sozialistischen Ländern empörte Brasch, Flugblätter wurden gedruckt, ein Gefängnisaufenthalt durch den Verrat des Vaters folgte. 1977 verließen er und seine damalige Freundin Katarina (Jella Haase) die DDR, offiziell freiwillig, vor allem aber, weil Brasch in seiner Heimat keine Texte veröffentlichen konnte. Ein Systemwechsel, der für die Künstlernatur Brasch nicht so groß war, wie es Außenstehende, gerade die Medien im westlichen Teil Deutschlands, gerne sehen wollten. Wie Brasch sich nun nicht instrumentalisieren, wie er sich nicht als Kritiker des DDR-Systems benutzen ließ, ist einer der interessantesten Aspekte seiner Biographie, die, so deutet es Kleinerts Film an, letztendlich zu seiner Isolation, der zunehmenden Flucht in Alkohol und Kokain führte.

Bisweilen zwangsläufig etwas episodisch ist das genau recherchierte Buch von Thomas Wendrich, viele Ereignisse wollen behandelt werden, Zeitsprünge zerstückeln den Fluss, Kapitel teilen den Film, das Leben Braschs ein. Zusammengehalten wird der große Bogen vom einmal mehr außerordentlichen Albrecht Schuch. Mit größtem Elan wirft er sich in die Rolle des Künstlers und Lebemann, dem die Frauen zu Füßen lagen, der seine rebellische Natur auslebte, dabei aber nicht nur gegen einfache Gegner austeilte, sondern auch kritisch mit sich und seiner Rolle im System umging. Besser gesagt: In beiden Systemen, denn weder in seiner ersten Lebenshälfte in der DDR, noch später in der BRD passte Thomas Brasch wirklich dazu, sah klar die Missstände der jeweiligen Systeme, wollte sich weder hier noch da vereinnahmen lassen. Nicht nur ein Film über einen Künstler ist „Lieber Thomas“, sondern auch ein Film über deutsche Verhältnisse, vor allem aber auch ein Film über den schwierigen und manchmal zerstörerischen Versuch, sich selbst treu zu bleiben.

Quelle: programmkino.de / Michael Meyns


Deutschland 2021
Regie: Andreas Kleinert
Buch: Thomas Wendrich
Darsteller: Albrecht Schuch, Jella Haase, Ioana Iacob, Jörg Schütauff, Anja Schneider, Marlen Ulonska
150 Minuten
ab 16 Jahren

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Trailer LIEBER THOMAS