Vor der Morgenröte

Rio De Janeiro, August 1936. Große Gesellschaft im exklusiven Jockey-Club. Die Haute Volée empfängt Stefan Zweig (Josef Hader) wie einen Staatsmann. Trotzdem fühlt sich der 54jährige am anderen Ende der Welt als wehrloser, machtloser Zeuge des Rückfalls in die NS-Barbarei. Als er sich einen Monat später auf dem Schriftstellerkongress in Buenos Aires eindeutig gegen Hitler-Deutschland aussprechen soll, weigert er sich ein Land zu verurteilen. Ebenso wenig findet er den risikolosen Widerstand einer Gedenkminute für die verfolgten Künstler und Intellektuellen angemessen. Einige Jahre später ist er mit seiner zweiten Frau Lotte (Aenne Schwarz) immer noch heimatlos auf Vortragsreisen in Südamerika unterwegs. Dabei erlebt er nicht selten skurrile Situationen. Bald darauf begegnet der Geschiedene im winterlich-frostigen New York seiner ersten Frau Friderike (Barbara Sukowa) wieder, die ebenfalls fliehen musste. Wenige Monate danach findet Zweig im brasilianischen Petrópolis, einem Ort hoch in den Bergen des Hinterlands, 70 Kilometer von Rio entfernt, mit Fachwerkgiebeln zwischen tropischen Bäumen und Vierteln eine neue Bleibe. Doch selbst dieses „tropische Semmering“ mit seiner gastfreundlichen Bibliothek und der frischen Bergluft kann auf Dauer den Schmerz der Heimatlosigkeit nicht vertreiben.

Überzeugend spielt der österreichische Star-Kabarettist Josef Hader den sensiblen, ambivalenten Schriftsteller, glänzt ohne jede Tendenz zum Overacting. Ein großer Sprung – auch für den Zuschauer - vom Kult-Kieberer Brenner der legendären Krimireihe, wo er scheinbar jede Nuance, vor allem den komödiantischen Sarkasmus seines Protagonisten, längst verinnerlicht hatte. Besonders im Zusammenspiel mit der legendären Fassbinder-Heroine Barbara Sukowa entwickeln sich szenisch, unvergleichlich dichte Gefühlsmomente. Das ungewöhnliche Gespann funktioniert ganz prächtig. Denn der grandiosen Charakterdarstellerin gelingt es ihren Figuren eine ganz eigene Ausstrahlung zu geben. Multitalent Maria Schrader nimmt nach ihrem furiosen Debüt mit der Romanverfilmung „Liebesleben“ erneut auf dem Regiestuhl Platz. Und wieder geht die Berlinerin damit mutig ein künstlerisches Wagnis ein. Doch mit dem genialen Kameramann Wolfgang Thaler, der den Stil der österreichischen Ulrich-Seidel-Filme prägte, minimiert sich das Risiko. Seine kraftvoll pulsierenden Bildkompositionen vermitteln dem Zuschauer hervorragend den quälenden Zwiespalt der Heimatlosigkeit im tropisch-brasilianischen Paradies.

Deutschland, Frankreich u.a. 2016
Regie: Maria Schrader
Darsteller: Josef Hader, Barbara Sukowa, Aenne Schwarz
106 Minuten
ohne Altersbeschränkung

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