Agnes

Walter ist ein Sachbuchautor, der in einer Bibliothek recherchiert und dabei auf Agnes trifft. Er verliebt sich auf den ersten Blick in die hochbegabte Physikstudentin, deren scharfer Intellekt ihn ebenso fasziniert wie ihre selbstverständliche sexuelle Begierde. Hinter der mädchenhaften Fassade verbirgt sich eine hoch komplizierte Persönlichkeit, ein Mensch auf der Suche nicht nur nach Liebe, sondern nach Perfektion, privat wie beruflich. Auch Agnes fühlt sich von dem älteren Mann stark angezogen. Er fordert sie heraus, doch das beruht auf Gegenseitigkeit – eine Beziehung auf Augenhöhe, eigentlich der Traum aller jungen Verliebten. Der gemeinsame Beschluss, ihre Liebesgeschichte aufzuschreiben, ist zunächst eine Art Spiel zwischen den Liebenden, sie amüsieren sich über die unterschiedliche Sichtweise der Wirklichkeit, doch bald verändert die geschriebene Realität die echte Beziehung und zerstört sie schließlich.

Natürlich geht es hier nicht nur um die Liebe in den Zeiten der Sinnsuche, sondern ebenso ums Schreiben in all seinen Facetten. Dazu gehören die persönlichen Erinnerungen ebenso wie die unterschiedlichen Blickwinkel in der Rückschau und letztlich auch das Erfinden von Geschichten. So wie Peter Stamm literarisch mit den kleinen und großen Versatzstücken seines Schriftstellerlebens spielt, hat das immer etwas leicht Ironisches. Im Film von Johannes Schmid mündet die feine Ironie in eine beinahe dämonische, intensive Bildsprache, die in kühler Klarheit die Handlung immer wieder in Frage stellt. Am Anfang schreitet eine fast nackte Agnes in die dunkle Schneenacht und in den vorhersehbaren Tod. Das Ende ist der Anfang, und wie im Buch ist alles unklar: Bringt Agnes sich tatsächlich um, oder entfernt sie sich nur aus der gemeinsamen Geschichte? Und das sind lediglich zwei von vielen offenen Fragen, die den Film aus der Masse der durchschnittlichen Kinogedankenwelten herausheben. Ein offenes Ende, normalerweise im Film wie auch in der Literatur eher verpönt, wird oft als faule Ausrede dafür gesehen, dass ein Autor sich nicht entscheiden mag. Hier – im Buch wie im Film – ist es anders: Die Geschichte wird durch die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten bereichert, sie wächst immer mehr und wird schließlich zur symbolträchtigen, komplexen Auseinandersetzung mit modernen Beziehungsgeflechten. Und das ist eine wirklich spannende Erfahrung, die – verbunden mit den herausragenden schauspielerischen Leistungen – den Film zum feinsinnigen, geistvollen Kinoerlebnis machen.

Deutschland 2016
Regie: Johannes Schmid
Darsteller: Odine Johne, Stephan Kampwirth, Sonja Baum
105 Minuten

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