Im Labyrinth des Schweigens

„Auschwitz? Das waren doch Schutzlager!“ Mit ihren Geschichtskenntnissen ist die Staatsanwaltschaft in Frankfurt nicht gerade vorbildlich - aber das scheint allemal typisch für die Bundesrepublik der Nachkriegszeit. Man schreibt das Jahr 1958. Wirtschaftswunder, Konsum sowie heimelige Schlager bestimmen den Zeitgeist. In dieser biederen Gemütlichkeit des Vergessens und Verdrängens wirkt Thomas Gnielka, Journalist der Frankfurter Rundschau, wie ein lästiger Störenfried. Als er einen Lehrer anzeigen will, den er als ehemaligen KZ-Wärter enttarnt hat, erntet er nur Spott bei den Behörden. Lediglich der junge Staatsanwalt Johann Radmann (Alexander Fehling) nimmt sich der Sache heimlich an. Je mehr er ermittelt, desto größer ist sein Erschrecken über die NS-Verbrechen. Er freundet sich mit dem Journalisten an und lernt durch ihn einen jüdischen Überlebenden von Auschwitz kennen. Die Kollegen reagieren mit Häme auf den Eifer des jungen Juristen, doch vom sozialdemokratischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (Gert Voss) erhält er die nötige Rückendeckung. Akribisch wühlt sich Radmann durch Aktenberge...

Während es sich bei dem FR-Journalisten Gnielka und Generalstaatsanwalt Bauer um reale Figuren handelt, ist Johann Radmann ein fiktiver Charakter, der auf drei der damals ermittelnden Staatsanwälten basiert. Der dramaturgische Schachzug ermöglicht künstlerische Freiheiten, die das Drama erzählerisch voranbringen, ohne Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Der Held kann eine Reise durchleben und an seinen Aufgaben wachsen oder verzweifeln. Eine Lovestory hier, das Vater-Trauma dort und dazu noch etwas Alkohol im Frust - dem erfundenen Ermittler lassen sich solche Dinge problemlos andichten. Sie sind die unterhaltsame Hefe, die den Aufklärungs-Teig zum emotionalen Kinokuchen werden lässt. Die Wahrhaftigkeit der Fakten ändert sich dadurch nicht. Als ganz großer Pluspunkt erweist sich die Besetzung. Ex-„Goethe!“ Alexander Fehling gibt den jungen Wilden auch als Aktenfresser in der muffigen Amtsstube mit Gummibaum-Deko mit angenehmer Lässigkeit und balanciert souverän zwischen stur und verletzlich. Theater-Ikone Gert Voss als sein Mentor und Vorgesetzter ist der grandios leinwandpräsente Fels in der Brandung. Mit dieser letzten Vorstellung vor seinem Tod setzt er Fritz Bauer ein wuchtiges, würdiges Denkmal.

Deutschland 2014
Regie: Giulio Ricciarelli
Darsteller: Alexander Fehling, André Szymanski, Friederike Becht
123 Minuten
ab 12 Jahren

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